Der Spieler, der das Roulette besiegte – Teil 3

Lesen Sie jetzt den dritten Teil der Geschichte über Nikola „Tosa“ Tesanovic, basierend auf den Aufzeichnungen des Bloomberg-Journalisten Jack Hitt.

John Wootten hatte gerade seinen ersten Tag als Sicherheitschef im Ritz beendet, als ihn ein Kollege wegen ungewöhnlicher Aktivitäten an den Roulettetischen anrief. Er war im West End auf ein Bier mit Freunden und feierte seinen neuen Job in einem der renommiertesten Lokale der Stadt.
„Wir verlieren schnell Geld“, sagte ihm die Stimme am anderen Ende des Telefons. „Was sollen wir tun?“ Wootten wies an, die Namen der Spieler zu besorgen und zurückzurufen.

Wootten war ein stämmiger ehemaliger Soldat der Grenadier Guards, deren rote Mäntel und Bärenfellmützen man bei der Bewachung des Buckingham Palace sehen kann. Bevor er ins Casinogeschäft wechselte, betrieb er eine Punkrock-Kneipe.

Wootten hatte schon im Gefühl, dass er sich hier auf Ärger einstellen musste. Das Casinopersonal rief nicht ohne guten Grund so spät an.
Als er sein Bier ausgetrunken hatte, erhielt er die gewünschte Information: Einer der Spieler war Niko Tosa. Die anderen waren Nenad Marjanovic – aus Serbien, obwohl er einen alten jugoslawischen Pass benutzte – und Livia Pilisi, aus Ungarn.

Wootten hatte noch nie von ihnen gehört, aber er befahl dem Personal, das Spiel der drei zu unterbrechen, und machte sich auf den Weg zum Ritz. Als er dort ankam, waren die mysteriösen Spieler bereits verschwunden.

Am nächsten Tag kam Wootten früh, um nachzuforschen. Er fand keine offensichtlichen Anzeichen dafür, dass das Rouletterad oder der Tisch manipuliert worden waren. Beim Betrachten der Überwachungsvideos fiel ihm auf, dass Tosa und Marjanovic bei jeder Drehung nach wenigen Sekunden aufsprangen, um ihre Einsätze zu tätigen. Sie müssen eine Art Computer benutzt haben, dachte er.
Wootten, der ein paar Jahre zuvor versucht hatte, auf einer Branchenveranstaltung eine Rede über die Bedrohung der Casinos durch winzige, immer leistungsfähigere Computer zu halten, die in der Lage seien, Leistungen zu verarbeiten, von denen Menschen nur träumen können, wurde damals quasi von der Bühne gelacht. Diesen Spott in schmerzhafter Erinnerung, hatte er es sich zur Aufgabe gemacht, alles über dieses Thema zu lernen.

Das computergestützte Roulette wurde in den 1960er Jahren von rebellischen Akademikern an amerikanischen Eliteuniversitäten entwickelt. Wenn Wissenschaftler mit Mikroprozessoren bewaffnet die Bewegung der Sterne und Planeten vorhersagen konnten, warum nicht auch Roulette? Es war eine Frage der Physik.

Edward Thorp, ein amerikanischer Mathematiker und Pionier des Glücksspiels, unternahm den ersten ernsthaften Versuch, zusammen mit Claude Shannon, dem MIT-Professor, der die Informationstheorie mehr oder weniger erfunden hatte. Aus ihrer Sicht war das Roulette nicht völlig zufällig. Schließlich handelte sich sich dabei um ein kugelförmiges Objekt, das sich auf einer Kreisbahn bewegte und den Auswirkungen von Schwerkraft, Reibung, Luftwiderstand und Zentripetalkraft ausgesetzt war. Mit einer Gleichung ließen sich diese Effekte erklären.

Die Modellierung wurde jedoch schwieriger, sobald sich die Kugel vom äußeren Rand zum sich drehenden zentralen Rotor bewegte und von den Metalllamellen und den Seiten der nummerierten Taschenteiler abprallte – das war die zweite, chaotische Phase, die nach wissenschaftlichem Konsens jede Vorhersage zunichte machen würde.

Thorp und Shannon entdeckten jedoch, dass sie durch die Zeitmessung der Geschwindigkeit der Kugel und des Rotors das wahrscheinliche Ziel der Kugel berechnen konnten. Es gab zwar Fehler, aber Thorp stellte erfreut fest, dass ihre Vorhersagen in der Regel nur um ein paar Taschen abwichen.

Um ihre Gleichung aufzustellen, bauten und programmierten die beiden Mathematiker den weltweit ersten tragbaren Computer, ein streichholzschachtelgroßes Gerät, das mit einem im Schuh versteckten Zeitschalter verbunden ist. Nachdem Thorp das Gerät so kalibriert hatte, dass es sich an die Dynamik eines bestimmten Rades anpasste, musste er nur noch zweimal mit dem Fuß tippen, um die Geschwindigkeit zu messen. Das System funktionierte, zumindest in einer Laborumgebung – aber ihre aus den sechziger Jahren stammende Verkabelung gab immer wieder den Geist auf, als sie es in einem Casino ausprobierten.

Ein Jahrzehnt später nahm J. Doyne Farmer, ein Physikstudent an der University of California in Santa Cruz, die Herausforderung an. Farmer träumte davon, eine utopische Gemeinschaft von Hippie-Erfindern zu gründen, die sich durch Glücksspielgewinne finanzieren sollte. Er und seine Partner nannten ihr Unternehmen Eudaemonic Enterprises, nach Aristoteles‘ Begriff für das erfüllende Gefühl eines gut gelebten Lebens.

Wie Thorp vor ihm lernte auch Farmer, dass Roulette berechenbarer war, als man es sich vorgestellt hatte, und dass es fast unmöglich war, die Wissenschaft inmitten des Schweißes und Lärms eines echten Casinos zum Laufen zu bringen. Sein Gerät verwendete einen versteckten Summer, der dem Träger anzeigte, in welchen der acht Abschnitte oder „Oktanten“ die Kugel wahrscheinlich fallen würde.

Bei Feldversuchen in den Casinos von Lake Tahoe und Las Vegas kam es zu Kurzschlüssen oder Überhitzungen, die den Träger mit einem Stromschlag trafen oder seine Haut verbrannten. Die Eudaemons vergeudeten mehrere Jahre und Tausende von Dollar, bevor sie das Projekt Anfang der 1980er Jahre aufgaben. Einer von ihnen, Thomas A. Bass, veröffentlichte ein Buch über seine Abenteuer mit dem Titel The Eudaemonic Pie. Am Ende, so das Fazit des Buches, war Eudaemonia kein Ziel, das es zu erreichen galt, sondern eine Reise.

Lesen Sie nächste Woche, wie es weitergeht – in Teil 4 von Der Spieler, der das Roulette besiegte

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Constanze
Constanze
Expertin für österreichische Casinos
Connie’s Passion war schon immer die deutsche Sprache, ihr erstes gesprochenes Wort „Reißverschluss“… Als Content Writerin bei Game Lounge verbindet sie diese Passion mit ihrem Faible für die schillernd-bunte Glücksspielwelt, indem sie diese in leuchtend-schöne Texte verpackt, um die Leser zu informieren und zu unterhalten. Nach dem Studium der deutschen Sprache hat sie neben vielseitigen Übersetzungsarbeiten auch sehr überzeugendes Copy Writing für den iGaming Bereich geliefert.

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